Attac Wiesbaden: Lokale Themen
Lokales aus der Region Wiesbaden/Rheingau-Taunus
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Alles wächst – sinnvoll?
Zu dem geplanten neuen Stadtteil Ostfeld
In der Geschichte der Menschheit entsprach das Wachstum der Wirtschaft immer dem Wachstum der Bevölkerung – bis zur industriellen Revolution. Ab diesem Zeitpunkt hat die Menschheit mittels neuer Technologien und der Nutzung fossiler Brennstoffe ihr Arbeitsvolumen vervielfacht und es gab erstmals ein Pro-Kopf-Wachstum. In dieser Zeit wuchsen auch unsere Städte: Wiesbaden von 30.000 (1870) auf 110.000 (1910) Einwohnern. Eingemeindungen fanden erst später statt. Eine 1960 in Auftrag gegebene Studie prognostiziert für Wiesbaden ein Wachstum von 256.000 auf bis zu 340.000 Einwohner bis 1983. Entsprechend sollte die bebaute Fläche um 20 % steigen. Realisiert wurde der Schelmengraben, die Siedlung Klarenthal aber auch die Verbreiterung der Schwalbacher Straße, der Bau der Hochbrücke Coulinstraße und Teile des geschlossenen(!) ersten Rings. Einiges wurde inzwischen kostenaufwändig zurückgebaut.
In Rankings von Kommunen weit oben zu stehen scheinen für Politiker das Ziel und eine Bestätigung von guter politischer Arbeit zu sein. So freute sich der damalige OB über den Platz 1 bei der Investition in Wiesbadener Immobilien - schön für Investoren, schlecht für Wiesbadener Mieter! Auch die Anmeldung zum 150.000sten PKW führte zum Glückwunsch des OBs für den Anmeldenden. Im Februar schreibt OB Mende ganz stolz, dass unter den vergleichbaren 26 Großstädten mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern die hessische Landeshauptstadt beim Kaufkraftindex nach Bonn bundesweit den zweiten Platz belegt. Der Spitzenplatz bei der privaten Überschuldung (17 % der privaten Haushalte in Wiesbaden) und der Kinderarmut (Kinder in „Hartz 4-Haushalten“) wird nicht erwähnt – im Durchschnitt ist ja alles in Butter!
Jetzt sollen neue Baugebiete (z.B. Ostfeld) ausgewiesen und die Bebauung realisiert werden. Wachstum von Wohnfläche ist angesagt um den Notstand bei preiswerten Mietwohnungen und dem Fachkräftemangel zu begegnen. Letzteres ist bei einer Arbeitslosenquote für Wiesbaden, die direkt hinter Offenbach und Kassel liegt und deutlich über dem Landesdurchschnitt ebenso unglaubwürdig wie das Ignorieren der zurückgehenden Beschäftigung durch Industrie 4.0 (Diese bekommt zurzeit durch die Einschränkung der Pandemie einen immensen Auftrieb).
Da die Bevölkerung Wiesbadens trotz hoher Geburtenrate kaum wächst, liegt der Wohnflächenmangel an der Steigerung der Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung, auch wegen gestiegener Ansprüche. Dies hat unterschiedliche Ursachen und könnte mit intelligenten Maßnahmen überwunden werden. Ältere Menschen, die in zu großen Wohnungen und Häusern wohnen, werden wegen Makler- und Umzugskosten und dem überhitzten Immobilienmarkt sich kaum bewegen – es sei denn die Stadt führt (auf freiwilliger Basis für die Betroffenen) ein entsprechendes Immobilienmanagement ein. Auch aus Anlagemotiven heraus gekaufte und leerstehende Wohnungen könnten Objekte städtischer Politik sein.
Ein Baugebiet in der Dimension des Ostfeldes zu realisieren ist geeignet, Zuzüge zu befördern, und damit eventuell neue Pendlerströme im schon stark verkehrsbelasteten Wiesbaden zu initiieren. Warum sollten Arbeitgeber wegen mehr Wohnraum oder mehr Einwohnern Arbeitsplätze schaffen?
Die IHK Wiesbaden meint zwar: „Dabei gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass mehr Wohnungsbau nicht nur nachfrageseitige Effekte auf das Wirtschaftswachstum hat, sondern auch klassische Angebotspolitik ist, weil dadurch eine effizientere Verteilung von Arbeitnehmern erreicht wird. Denn derzeit trägt die Wohnraumknappheit dazu bei, dass viele Arbeitsplätze in den Städten nicht besetzt werden.“ (02/2020) Aber eine effizientere Verteilung würde eher Arbeitsplätze im ländlichen Raum als im Ballungsgebiert schaffen.
Daneben spielen auch umweltpolitische Gründe wie die Veränderung des Klimas und die Beeinflussung der Luftschneise vom Taunus nach Mainz eine wesentliche Rolle (dafür gibt es reichlich Material von Umweltschutzverbänden, Leserbriefe usw.).
Ebenso in Frage zu stellen ist, ob der geschaffene Wohnraum preislich attraktiv für diejenigen ist, die derzeit als Wohnungssuchende geführt werden. Die Beispiele der Sanierung und Neubauten der GWW als städtische Gesellschaft sprechen eine andere Sprache. Viele mussten ihre sanierte Wohnung verlassen, da sie für sie unbezahlbar wurde.
Es bleibt letztlich offensichtlich nur der Wunsch, zu wachsen, im Wettbewerb mit anderen Gemeinden die Nase vorne zu haben, in Einwohnerzahl, Kaufkraft, PKW-Bestand … andere Ziele würden andere politische Entscheidungen möglich machen!